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V. links: Generalvikar Dr. Michael Bredeck, Dr. Ulrich Dickmann, Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck, Markus Dürkes (Vorsitzender des Unternehmensverbandes Westfalen-Mitte), Regierungspräsident Heinrich Böckelühr, Dr. Volker Verch (Geschäftsführer des UVMW)
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Wie kann die Kirche in einer zunehmend unsicheren Welt Verantwortung übernehmen – und welche Rolle spielt sie in Fragen von Sicherheit, Demokratie und Frieden? Diesen Fragen widmete sich der WerteDialog 2025, zu dem die Katholische Akademie Schwerte gemeinsam mit der Bezirksregierung Arnsberg und dem Unternehmensverband Westfalen-Mitte eingeladen hatte. Zu Gast war der Bischof von Essen und Katholische Militärbischof für die Bundeswehr, Dr. Franz-Josef Overbeck, der aus einer theologisch-friedensethischen Perspektive über aktuelle sicherheitspolitische Herausforderungen sprach.
Zeitenwende und moralischer Kompass
Nach der Begrüßung durch Regierungspräsident Heinrich Böckelühr betonte der stellvertretende Direktor der Katholischen Akademie Schwerte, Dr. Ulrich Dickmann, schon in seiner thematischen Einführung, wie sehr angesichts des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine eine vertiefte, differenzierte friedensethische Reflexion nottue. In seiner Rede sprach Bischof Overbeck von einem »sicherheitspolitischen Kurswechsel historischen Ausmaßes«: »Wir stehen vor einem Spannungsfeld zwischen dem Gebot der Gewaltfreiheit und der Notwendigkeit legitimer Verteidigung. Weder dürfen wir dem naiven Glauben verfallen, dass moralischer Appell Aggressoren stoppt, noch dem zynischen Irrtum erliegen, militärische Stärke sei die einzige Antwort.« Diese »Zeitenwende« erfordere, so Overbeck, kein Ende der Friedensethik – »im Gegenteil macht sie diese dringlicher denn je.« Gerade in einer Welt wachsender Unsicherheit müsse die Friedensethik Orientierung geben und Maß halten zwischen Wehrhaftigkeit und Friedfertigkeit.
Selbstkritik des Westens und Rückkehr der Ideologien
Overbeck scheute dabei nicht den selbstkritischen Blick: Der Westen, so seine Analyse, habe nach 1990 »dem Glauben Vorschub geleistet, Demokratie und liberale Werte seien – notfalls militärisch – universell übertragbar«. Fehlgeleitete Interventionen wie der Irakkrieg oder der Libyen-Einsatz hätten »das Vertrauen in die Normtreue des Westens beschädigt« und die Glaubwürdigkeit in der Welt geschwächt.
Parallel dazu beschrieb der Bischof die »Rückkehr der Ideologien«: Russland verstehe sich zunehmend als moralisch überlegene Gegenkultur zum Westen, getragen von einer engen Allianz zwischen Staat und russisch-orthodoxer Kirche. Ähnlich sei in China unter Xi Jinping eine ideologische Rückbindung zu beobachten, die politische Macht religiös-national auflade. »Die gegenwärtige globale Konfrontation ist nicht allein geopolitisch, sondern weltanschaulich grundiert.« Friedensethik müsse deshalb auch kulturelle und ideologische Tiefenstrukturen ernst nehmen – und dennoch Wege der Verständigung offenhalten.
Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden
Mit Blick auf die kirchliche Friedenslehre zeichnete Overbeck die Entwicklung von der Lehre des gerechten Krieges hin zum Leitbild des gerechten Friedens nach: »Gerechter Friede bedeutet: Frieden durch Gerechtigkeit schaffen, nicht Frieden durch Unterwerfung.« Dieses Leitbild sei keine naive Absage an militärische Gewalt, sondern eine Ethik der Prävention und Verantwortung. Gewalt könne nur als ultima ratio legitim sein – »immer begrenzt, immer kontrolliert und immer orientiert auf das schnellstmögliche Ende der Gewalt«.
Auch Aufrüstung könne aus dieser Perspektive nicht pauschal verurteilt werden: »Die Alternative zu einer verantworteten Aufrüstung ist nicht der Frieden, sondern der Verlust der Freiheit.« Militärische Stärkung müsse jedoch »ethisch begleitet werden – durch Transparenz, Maß und klare Orientierung«.
Wehrhafte Demokratie und geistige Resilienz
Die sicherheitspolitische Verantwortung beginne, so Overbeck, nicht erst im Militärischen, sondern im Inneren der Gesellschaft. »Nicht nur die Armee, sondern die ganze Gesellschaft muss verteidigungsfähig sein.« Eine wehrhafte Demokratie lebe von innerer Resilienz – von Anstand, Respekt, Mut, Kompromissbereitschaft und Wahrheitsliebe. Ohne diese moralischen Ressourcen bleibe jede äußere Verteidigung leer. »Wir verteidigen nicht nur Land oder Institutionen, sondern eine Lebensform, einen Wertekanon.«
Versöhnung und Verantwortung der Kirche
Abschließend rief der Bischof zu einer realistischen, aber hoffnungsvollen Friedensethik auf. Versöhnung bleibe das Ziel, dürfe jedoch »nicht mit Kapitulation vor dem Bösen verwechselt werden«. »Wahre Versöhnung setzt Gerechtigkeit als Fundament voraus. Frieden um jeden Preis ist ethisch nicht verantwortbar.«
Die Kirche, so Overbeck, müsse »Lobbyistin des Friedens« sein – durch Verkündigung, Bildung und konkrete Projekte der Versöhnung. »Frieden ist möglich, weil er gestaltbar ist – durch gerechte Strukturen, durch politischen Mut, durch soziale Resilienz und durch einen inneren Kompass, den die Friedensethik immer neu justieren hilft.«
Dialog über Werte und Verantwortung
Der Vorsitzende des Unternehmensverbandes Westfalen-Mitte, Markus Dürkes, dankte Weihbischof Dr. Overbeck für seine tiefgreifenden Worte und fasste das Gefühl vieler Teilnehmender zusammen: »Sie haben mich sehr sehr nachdenklich gemacht!« Raum für den Austausch der Gedanken bot das anschließende gemeinsame Abendessen, bei dem die Teilnehmenden das Gespräch fortsetzten.
Der jährliche »WerteDialog« der Bezirksregierung Arnsberg, der Katholischen Akademie Schwerte und des Unternehmensverbandes Westfalen-Mitte bringt Verantwortliche aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kirche zusammen. Ziel ist es, aktuelle gesellschaftliche und politische Themen mit theologischen und ethischen Perspektiven zu verbinden.
Text & Fotos: Raphael Röwekamp, Katholische Akademie Schwerte