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»Kirche weitergebaut« - Kultur trifft Glaube

Tagung mit Workshop in St. Viktor und in der Katholischen Akademie

Am Montag, 11. März 2024, fand die diesjährige Tagung »Kirche weitergebaut« statt, bei der unter dem Titel »Kultur trifft Glaube« der Frage nach der Polyfunktionalität im Kirchenraum nachgegangen wurde. Der Tag startete mit einem Workshop vor Ort: in der spätmittelalterlichen evangelischen Marktkirche St. Viktor, die das Zentrum der historischen Hansestadt Schwerte bildet. In ihrem Inneren birgt sie mit einem mehrflügeligen Antwerpener Schnitzaltar im Chor ein kostbares Kunstwerk, das es zu entdecken galt. Prof. Dr. Barbara Welzel und Dr. Niklas Gliesmann vom Seminar für Kunst und Kunstwissenschaft der TU Dortmund haben in einem mehrjährigen Projekt und in Zusammenarbeit mit Studierenden, der Gemeinde vor Ort sowie einem internationalen wissenschaftlichen Netzwerk dieses Retabel auf seine Materialien, Ikonografie und Herkunft untersucht und erstaunliche Erkenntnisse daraus gewonnen. Sie konnten dem interessierten Workshop-Publikum direkt am Objekt verdeutlichen, dass der Altar durch Markierungen an bestimmten Stellen die Gütesiegel der berühmten Antwerpener Werkstatt aufweist, und dass z. B. die Alabaster-Figuren in der Altar-Predella vom berühmten Rimini-Meister stammen, der zeitgleich zu Beginn des 16. Jahrhunderts auch in Italien und Frankreich nachweisbar ist. Neben diesen neuen kunstwissenschaftlichen Ergebnissen wurde im Kirchenraum von St. Viktor auch diskutiert, dass dieses 500 Jahre alte kostbare Altarretabel eben »nicht nur« ein kulturelles Erbe darstellt, sondern nach wie vor auch als aktueller liturgischer Ort »in Betrieb« ist und somit die Anwesenheit Gottes zu vergegenwärtigen vermag. Kirchenräume sind somit »doppelt codiert«, so stellte es Prof. Dr. Barbara Welzel dar: Sie sind einmal »durchbetete Räume« und gleichzeitig kulturelles Erbe, an dem jeder Mensch das Recht auf Teilhabe hat.

Beim nachmittäglichen Vortragsteil in der Katholischen Akademie Schwerte wurde dieser Gedanke der Polyfunktionalität wieder aufgegriffen. In einem Dialoggespräch zwischen Dr. Manuela Klauser und Prof. em. Dr. Albert Gerhards (beide DFG-Forschungsgruppe TRANSARA zu Sakraltransformation in Deutschland, Universität Bonn) wurden unterschiedliche Konstellationen eines Zusammenspiels von Kunst im Kirchenraum diskutiert: angefangen von liturgischen Kunstobjekten bis hin zu provokanten Interventionen zeitgenössischer Kunst. Im Anschluss daran stellte Diözesanbaumeisterin Dipl.-Ing. Carmen Matery-Meding die Neugestaltung der salischen Paderborner Dom-Krypta vor, die 2023 fertig gestellt werden konnte. Hier ist in enger Absprache mit der Denkmalpflege und dem Entwurf des Büros Brückner und Brückner aus Nürnberg die Transformation dieses unklar strukturierten mittelalterlichen Sakralraumes zu einem barrierefreien und hell anmutenden Andachtsraum gelungen. Durch die Platzierung der zeitgenössischen Heiligenfigur des Liborius von Bildhauer Stephan Balkenhol erhält die über 900 Jahre alte Krypta eine zeitgenössische künstlerische Zäsur, die über die Heiligenverehrung Alt und Neu miteinander zu verbinden vermag.

Die Architektin und Künstlerin Eva von der Stein aus Aachen rundete abschließend den Vortragsteil mit einem Werkstattbericht von aktuellen eigenen Kunst- und Architekturprojekten in und mit Kirchenräumen ab. Ihre Projekte reichen von kleinen temporären Interventionen wie dem Gotteslobaltar in St. Michael in Aachen (Altar aus ausrangierten Gotteslob-Gesangsbüchern, 2014) bis hin zur Neugestaltung ganzer Sakralräume, wie dem Kolumbarium in der Unterkirche von St. Gregorius in Aachen (2020).

In der Diskussion am Ende mit dem engagierten, Kirchenarchitektur-affinen Publikum wurde klar, dass die nächsten Jahre zwar im Zeichen einer radikalen Transformation der Sakralbaulandschaft in Deutschland stehen, man aber diesen Wandel nicht allein den Kirchenverwaltungen und -gemeinden überlassen bzw. aufbürden darf, sondern hier, auch im Sinne der herausgearbeiteten Polyfunktionalität von Kirchenräumen, der Erhalt, Umbau und die Neunutzung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachtet und angegangen werden muss.

Stefanie Lieb