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Digitalisierung braucht einen Ordnungsrahmen

11. Juristentag im Erzbistum Paderborn

»Vieles, was bis vor zehn Jahren bestenfalls in Science-Fiction-Werken anklang, ist heute längst kein utopisches Szenario mehr«, stimmte Erzbischof Hans-Josef Becker am Montag die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 11. Juristentages im Erzbistum Paderborn auf das Tagungsthema ein. In der Katholischen Akademie Schwerte diskutierten namhafte Experten aus Wissenschaft und Praxis die rechtlichen und ethischen Herausforderungen der Digitalisierung.

Die bereits heute absehbaren Auswirkungen der digitalen Vernetzungsmöglichkeiten auf Unternehmen, Arbeitswelt und Gesellschaft seien so tiefgreifend, dass nahezu überall von einer digitalen Wende die Rede sei, führte Erzbischof Becker aus. »Der in Deutschland geprägte Begriff ‚Industrie 4.0‘ mag dabei noch am ehesten verdeutlichen, worum es im Kern geht: Um nicht mehr und nicht weniger als um eine ‚vierte industrielle Revolution‘«, sagte der Oberhirte des Erzbistums Paderborn.

Auf der Tagung ging es dann in mehreren Vorträgen darum, wie sich diese Veränderungen gestalten lassen und ob beispielsweise heutige Rechtsnormen den Anforderungen einer digitalisierten Welt ausreichend Rechnung tragen.

So stellte NRW-Justizminister Peter Biesenbach in seinem Referat die Frage: »Brauchen wir ein digitales Persönlichkeitsrecht?«. Mit Blick auf soziale Netzwerke und Apps, bei denen vor allem mit den Daten der Nutzer Geld verdient werde, sei diese Frage mit »ja« zu beantworten. Im Moment könne der Nutzer nur die jeweiligen Allgemeinen Geschäftsbedingungen akzeptieren oder den Dienst nicht nutzen. Das sei zu wenig. NRW-Landesminister Peter Biesenbach sprach sich dafür aus, dass die Nutzer über die Verwendung ihrer Daten jeweils aktuell informiert werden und auch die Möglichkeit haben sollten, diese zu löschen.

»Wir können durchaus gestaltend eingreifen«, meinte Professor Dr. Ing. Reiner Anderl vom Fachbereich Maschinenbau der TU-Darmstadt. Anhand einer Chronologie verdeutlichte er das Tempo der Entwicklungen vom Beginn des Internets mit dem World Wide Web in den 1990er Jahren über soziale Medien ab 2005, die App-Technologie ab 2007 bis zu vernetzten Systemen der Industrie 4.0 ab 2015. Damit seien ganz neue Geschäftsmodelle entstanden und die Gesellschaft stehe mitten im Wandel der Arbeitswelt.

Die wirtschaftsethischen Herausforderungen dieses Wandels benannte Professor Dr. theol. Joachim Wiemeyer von der Ruhr-Universität Bochum. So fragte er unter anderem danach, was mit jenen Menschen sei, welche das Internet nicht nutzen könnten.

Über die Rechtsfragen autonomer Systeme, wie etwa selbst fahrende Autos, sprach Professor Dr. jur. Georg Borges von der Universität des Saarlandes. Dabei stellte er unter anderem die Frage, ob es sachgerecht sei, wenn für selbstfahrende Fahrzeuge die Halterhaftung gelte, oder ob nicht eine Produkthaftung des Herstellers angemessener sei. 

Arbeitsrechtliche Fragen zum Thema der Tagung griff Rechtsanwalt Dr. jur. Thomas Klebe auf. »Digitalisierung führt zu einer mehrfach entgrenzten Arbeitswelt, räumlich, zeitlich, funktional«, erläuterte Dr. Klebe, der bis 2013 Justitiar im Vorstand der IG Metall war. Mit Blick auf die zunehmende Flexibilisierung der Arbeit, welche den Anspruch einer permanenten Verfügbarkeit mit sich bringe, sprach sich Dr. Klebe für ein »Recht auf Nichterreichbarkeit« aus.

Die Forderung nach einem gestaltenden Ordnungsrahmen für die durch die Digitalisierung ausgelösten Entwicklungen wurde von den Tagungsteilnehmern geteilt. So hatte auch Erzbischof Hans-Josef Becker eingangs betont: »Bei allem berechtigten Optimismus für die Chancen und Möglichkeiten bleibt daher zu konstatieren, dass die mit der Digitalisierung unumkehrbar eingeläutete Entwicklung einen verlässlichen ethischen und rechtlichen Ordnungsrahmen benötigt.« (pdp)